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Und die Sonne ging auf

Ich hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft und in der hinteren Reihe des Hörsaals einen Platz ergattert, bevor die Vorlesung begann, und hörte interessiert zu, was der Professor über die unterschiedliche Entwicklung ,die Motorik und den Bewegungsdrang von Kindern erklärte.

Oh ja, ich erinnerte mich, ich war auch ein sehr lebendiges Kind, milde ausgedrückt. Heutzutage würde man sagen, ich sei wohl etwas hyperaktiv gewesen. Aber dieser Begriff, der heute fast wie Falschgeld benutzt wird, war in der Nachkriegszeit nicht geläufig. Außerdem hatten wir Kinder damals genügend Raum, um uns auszutoben. Auf den Straßen fuhren nur sehr wenig Autos, und die Trümmergrundstücke waren phantastische Abenteuerspielplätze, wenn auch nicht immer ganz ungefährlich. Das Wippen auf den herausragenden Eisenträgern machte Spaß, und man konnte so allerlei entdecken und finden, was sich zum Spielen eignete. Da war auch kaum jemand da, der uns kontrollierte, denn die Erwachsenen waren damit beschäftigt, die Existenz zu sichern und das Land wieder aufzubauen.
Nur in der Schule, da musste man brav sein, still sitzen und schweigen, es sei denn, man war aufgerufen worden, was bei über 40 Kindern nicht so oft vorkam. Wie schwer war mir das im zweiten Grundschuljahr gefallen! Unser Klassenleiter, einer der vielen Lehrer, die der Krieg krank gemacht hatte, verlor schon mal bei uns Rasselbande die Nerven. Dass man sich dann mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen musste, war noch die harmloseste Art der Bestrafung. Wer Pech hatte, bekam den Rohrstock zu spüren oder musste einem nassen Schwamm oder einem Stück Kreide ausweichen. Meine Hände hatten schon mehrfach die Bekanntschaft mit dem Rohrstock gemacht. Über 40 Kinder zu bändigen, das war für die Nerven dieses Lehrers, der auch sehr nett sein konnte, zu viel. Und die Eintönigkeit seines Unterrichts zementierte die Misere. “Wenn alles schläft und einer spricht…“sagten wir später am Gymnasium zu so etwas. Nur damals als quirlige Zweitklässler waren wir sehr ausgeschlafen und voll Tatendrang, zumal es ja auch noch kein Fernsehen gab; wir brauchten Bewegung für Körper und Geist.
Während ich meinen Gedanken nachhing, war mir der Kuli, mit dem ich gespielt hatte, auf den Boden gefallen und lag der Kommilitonin neben mir zu Füßen. Als ich ihn aufhob und mich entschuldigte, stutzte ich. Obwohl sie wohl einem höheren Semester angehörte, kam sie mir bekannt vor. Sie erinnerte mich an meine Lehrerin, die unsere Klasse im 3. Schuljahr übernommen hatte.Wie gut ich mich daran erinnerte! Mit dem Erscheinen von Fräulein Pausewang in unserem Klassenzimmer war für uns Schüler die Sonne aufgegangen. Und das hatte nicht nur daran gelegen, dass sie jung und hübsch war und menschliche Wärme ausstrahlte, sie hatte auch eine für uns neue, wunderbare Art zu unterrichten und zu erziehen. Sie förderte unsre Phantasie und Kreativität in ihrem ganzheitlichen Unterricht, und endlich durften wir uns bewegen.Wir musizierten, spielten Theater, sagten Gedichte auf, und wir lernten dadurch unsere Sprache zu lieben. Sie weckte in uns die Freude an der Schönheit der Sprache und des gesprochenen Wortes, auch die Lust am Theaterspiel . Disziplin galt auch bei ihr, aber sie lenkte uns besonnen und gütig. Miteinander spielend lernen , das war wohl die Devise.Nur ein Jahr lang durfte ich bei ihr diesen Unterricht erleben, weil ich wegen unseres Umzugs die Schule wechseln musste. Aber die Begegnung mit dieser Lehrerpersönlichkeit wirkte nachhaltig.
Ich verwarf zunächst den Gedanken, bei meiner Nachbarin könne es sich um meine verehrte Lehrerin handeln, schließlich war sie ja damals schon eine gestandene Pädagogin gewesen. Dennoch sprach ich sie nach der Vorlesung darauf an.

Sie war es tatsächlich, Gudrun Pausewang, meine Grundschullehrerin!

Nachdem sie etliche Jahre in Südamerika an deutschen Schulen unterrichtet und sich auch als Schriftstellerin profiliert hatte, war sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt und studierte hier (wie ich kleines Erstsemester) an der Johannes-Gutenberg-Universität Germanistik.

Zum Glück hat sie sich nicht nur ihrer Berufung als Schriftstellerin gewidmet (sie ist ja heute eine mit vielen Preisen ausgezeichnete, berühmte Dichterin),sondern sie arbeitete bis 1989 auch als Lehrerin.
Wie sagt doch Sokrates?
„ Wer nicht nur seine eigenen, sondern auch anderer Eltern Kinder gut erzieht, der dient fürwahr einem Gott gefälligen Ziel.“

Das tizianrote Haar

Es war gut, gut, dass sie sich Klarheit verschaffte. Alles Grübeln hatte ja zu nichts geführt. Endlich hatte sie gehandelt.
Gewiss, sie war sich schon etwas seltsam dabei vorgekommen, ihm heimlich zu folgen, um ihn auf frischer Tat zu ertappen.Aber, wie hieß es doch? „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Andererseits, wenn das Vertrauen erst einmal weg war, was war dann überhaupt noch die Basis einer Liebesbeziehung?
Sie hatte allerdings gute Gründe, misstrauisch zu sein.Seit einigen Wochen benahm er sich höchst merkwürdig. Jeden Dienstag hatte er neuerdings abends immer noch ein wichtiges Kundengespräch,verließ die gemeinsame Wohnung immer etwas aufgemotzt, trug seine eleganten Lederschuhe, und ein neues Deo hatte er sich auch zugelegt. Wenn er dann drei Stunden später wieder nach Hause kam, wirkte er etwas müde. Versuchte sie, etwas über diese Kundengespräche zu erfahren, wiegelte er ab, indem er lächelnd sagte, dies wolle sie doch nicht wirklich wissen, das langweile sie nur.
Und nun hatte sie auch noch dieses tizianrote Haar auf seinem Jackett gefunden!
Ihn direkt darauf anzusprechen, das hatte sie gleich verworfen.Er würde eine Ausrede finden, sich über ihre Eifersucht lustig machen und sagen, dass man nach fast 25 Ehejahren Bescheid wissen sollte…

Oh ja, sie wusste Bescheid! Der Müller von gegenüber hatte seine Frau auch gegen ein „jüngeres Modell“ eingetauscht; zeitgleich mit dem neuen Wagen, den er sich angeschafft hatte. Ja viele Männer in der Midlife-Crisis würden wohl gerne für ihre Ehefrau auch noch eine Abwrackprämie kassieren.Und die arme Frau Müller, ein ahnungsloses Lieschen, hatte immer nur den Blick auf Mann, Kinder und Heim gerichtet und stand jetzt mit 47 Jahren vor dem Nichts. In diesem Alter noch einen Job zu kriegen bei jahrelanger Erwerbslosigkeit, das konnte sie ja wohl vergessen.
Das sollte ihr nicht passieren, sie würde gewappnet sein. Ihr holder Mann würde sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen!Auch wenn sie wie jetzt hinter einem Baum stehen musste,um die Wahrheit herauszufinden.

Na bitte, jetzt klingelte er an der Tür! Nun würde es sich erweisen, was er für Gespräche führte. Sieh an, da war sie, die Schlange! Eine Vorstadtschönheit mit tizianrotem Haar lächelte ihn an( gut zwanzig Jahre jünger als er) und ließ ihn in ihr Haus.

Er betrog sie also tatsächlich! Sie merkte,wie sich alles in ihr zusammenkrampfte und schaute starr und fassungslos auf die Tür, hinter welcher ihr Mann gerade verschwunden war. Aber dann schossen ihr Gedanken durch den Kopf. Dumme Nuss, was ist los,du wolltest doch Klarheit, und jetzt hast du sie! Ja, aber etwas wissen und etwas ahnen, das ist ein großer Unterschied. Und der heißt Hoffnung. Man könnte sich ja geirrt haben. Was sollte sie nur jetzt machen? Für das Wochenende war ihre Feier zur silbernen Hochzeit mit der ganzen Familie geplant. Wie konnte er ihnen das nur antun? Die ganze schöne, heile Welt war wie ein Kartenhaus zusammengefallen, und sie lag darunter begraben! Na ja, ein Kartenhaus, welch blöder Vergleich! Wohl eher ein Erdbeben,alles Schutt und Asche. Ihr Humor rettete sie vor weiterem Selbstmitleid.Ihr Selbstwertgefühl meldete sich stolz zurück. Er würde sie nicht tränenüberströmt zu Hause vorfinden. Kurz entschlossen suchte sie ihren Frisör auf und ließ sich einen neuen Haarschnitt und eine neue Haarfarbe verpassen.
Auf seine Reaktion war sie gespannt.Dass er sie allerdings so entsetzt anschauen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Dann seine überflüssige Frage „Was hast du denn mit deinen blonden Haaren gemacht?“ „Ich wollte dich überraschen, du stehst doch neuerdings auf Frauen mit tizianroten Haaren“, antwortete sie ,sich zu einem sachlichen, aber liebenswürdigen Ton zwingend,obwohl sie innerlich kochte .Aber ihre mühsam aufrecht erhaltene Fassung brach in sich zusammen, als er lauthals zu lachen begann.
„Das ist eine Unverschämtheit sondergleichen, und du lachst!“, rief sie empört.
Er trat auf sie zu, nahm sie in die Arme und versuchte sie zu beruhigen:„Ach, Schatz, schade, nun ist es keine Überraschung mehr! Ich nehme seit einigen Wochen Tanzunterricht, damit ich dir endlich nach 25 Ehejahren deinen Wunsch erfüllen und auf unserem Fest mit dir tanzen kann, und du hast gedacht, dass ich fremdgehe!“

Meine Güte, wie kann man nur so eifersüchtig sein! Sie fühlte sich wie ein ertappter Dieb, richtig mies. Und dann wurde ihr bewusst, was er für sie aus Liebe getan hatte. Gerührt und erleichtert küsste sie ihn und bat ihn ,ihr zu verzeihen.

Ingrid Drewing

Die Traumfrau

Sie war hinreißend, und wie sie ihn anschaute!
Das Beste aber war, dass sie ihn so sein ließ, wie er war .Viele seiner Freunde mussten auf lieb gewordene Gewohnheiten verzichten, nachdem eine Frau in ihr Leben getreten war. „Keine Zeit, du frag\‘ mich doch nächste Woche noch einmal; du weißt doch, Karla legt Wert darauf, dass…“,so hatte ihm sein so genannter bester Freund erst gestern einen Korb gegeben, als er ihm einen gemeinsamen Angelausflug vorschlug. Nein, ihm würde das nicht passieren, dass er sein Leben total umkrempelte oder umkrempeln ließ.
Sie war ja auch anders, eben diese berühmte Frau der Träume. Er sah sie zwar nur donnerstags. Aber wer weiß, vielleicht war das ja das Geheimnis ihrer guten Beziehung?
Wie schön sie war! Dieses verschmitzte Lächeln, diese herzliche Begrüßung. Wie ein frischer Frühlingswind, der in sein kleines Zimmer wehte.
Besonders gefiel es ihm, wenn sie ihr schulterlanges, schwarzes Haar, den Kopf leicht geneigt, mit einer graziösen, aber burschikos wirkenden Geste leicht zur Seite strich und ,ihre freundlichen braunen Augen auf ihn gerichtet, fröhlich guten Abend sagte.
Da hätte er sie gerne sofort in die Arme genommen und geküsst.
Aber sehr schnell musste sie sich dann um ihre Talk-Gäste kümmern. Und er hatte Verständnis dafür, ging zum Kühlschrank, holte sich sein Pils und bewunderte sie andächtig vom Fernsehsessel aus.
Ingrid Drewing

Der Einfall und die Mooszellen

Ein Einfall, gut und recht brisant ,

ins Hirn ganz plötzlich Eingang fand,

fiel dort hell blitzend wieder

auf Mooszellen hernieder,

um hier auf der Moosfaserbahn

in das Gedächtnis einzufahr’n.


Mooszellen sind nicht samten grün

wie Moose in den Wäldern,

drum wollt’ der Einfall schnell entfliehn,

sich suchen andre Felder.

Er fand eine Synapse,

rief strahlend aus:“Ich hab se!“


Doch sie sprach drauf nur bitter:

„Ich bin nicht dein Transmitter.“

So wurde dann, man kann’s ermessen,

der gute Einfall schnell vergessen.

Ingrid Drewing

Flüchtiger Kuss

Ein flüchtig zarter Kuss

flog leicht auf eine Blüte,

traf einen Schmetterling,

der an der Blume hing.

Sie strahlte sanft voll Güte.


Der Schmetterling verwirrt,

vom Kusse angetörnt,

hat sich mit ihm entfernt.

Wer weiß, wo sie nun schwirren

und sich verliebt verirren?


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K üssen , Wonne der Berührung,

U nerlaubt dient’s der Verführung

E int ein Paar in tiefer Liebe

S üßes Sehnen, heiße Triebe

S anfter Lippen zartes Neigen

E ngel spielen Puszta-Geigen

N un wird Wolke 7 steigen

Ingrid Drewing

Sonntag am See

Du mit deinen Sternenhänden,

Amberbaum, im grünen Licht,

kannst mir schattig Ruhe spenden,

sticht mich hier die Sonne nicht.


Unter deinen frischen Zweigen

lieg ich träumend da im Klee,

blicke, ohne mich zu neigen,

auf den nahen , blauen See.


Wo zwei kleine Segelboote

kreuzen weiß und schnell im Wind.

Standhaft bleiben sie im Lote,

eines nun an Fahrt gewinnt.


Doch das zweite folgt, im Tanze

scheinen beide dort zu sein,

in der Sonne hellem Glanze

auf dem See, im Blau, allein

Ingrid Drewing

Schmetterling

Es landet auf des Tischtuchs Blüte

ein Pfauenauge wunderschön.

Er hat sich in der Blumen Güte,

wie es mir scheint, doch sehr versehn.


So geht es manchem, der, geblendet

von Farbe und von grellem Schein,

statt Licht und Leben sich verpfändet

der leeren Hülle, totem Sein.


Drum fühle, lass das tändelnd Scherzen

und nutze weidlich den Verstand,

sonst stehst du da mit vollem Herzen

und einer blassen, leeren Hand !

Ingrid Drewing

Tageslauf

Der Tag trägt heut ein graues Kleid,

zeigt mürrisch uns sein Angesicht,

selbst in der frohen Frühlingszeit

mag er sich manchmal wirklich nicht.


Die Sonnenbraut hat ihn verlassen,

sie, die ihm kürzlich noch so hold

mit liebem Blick ihr Herz gelassen,

verweigert ihrer Strahlen Gold.


Doch Sturmwind hat sich eingefunden,

will mit ihm um die Häuser ziehen,

und Regen mischt sich in die Runde

zum Trost, ein mannhaftes Bemühen.


Dann ist es klar, der Wolken Wuseln

hatte von Sonne ihn getrennt.

Nun, da sie weg sind, darf er schmusen

mit seinem hellen Element


Ingrid Drewing

Zeiterscheinung

Jetzt kommt die Zeit, da Männer grillen,

und Frauen im Bikini gehn,

mit großen, schwarzen Sonnenbrillen

begeistert in die Gegend sehn.


Verbrannter Fleischgeruch, der über

den hellen, grünen Gärten schwebt.

Gelächter brandet laut herüber,

man trinkt beschwingt sein Bier und lebt.


Am Lagerfeuer wie die Ahnen

versammelt sich die traute Schar,

und digital wähnt der Schamane

den Börsenkurs fürs Beutejahr.

Ingrid Drewing

Freundschaft

In der Not wird sich erweisen,

wer ein guter Freund dir ist,

dies sagt uns ein Spruch, der weise,

den man an Erfahrung misst.


Freunde teilen mit uns Freuden,

spenden uns im Leide Trost,

stehen mutig uns zur Seite,

wenn Verdruss, Bedrohung groß.


Teilen auch mit uns das letzte

Scherflein, wenn es nötig ist.

Dass Vertrauen man in ihn setzte,

nie ein wahrer Freund vergisst.


Er hält zu dir bis zum Tode

und darüber noch hinaus.

Ihm gebührt des Lobes Ode,

ist sein Herz doch dein Zuhaus’.

Ingrid Drewing