Die hochmütige Elster
Es war die Elster jüngst zu Gast
bei einer klugen Krähe.
Dort prahlte sie, ihr Prunk-Palast
sei ganz hier in der Nähe.
Er glänze, sei weithin zu sehen,
sie habe ihn geschmückt
mit Gold und Silber, widerstehen
das könne nicht, wer ihn erblickt.
Das Heim der Krähe, zu bescheiden,
fast ärmlich sehe es doch aus.
So etwas könne sie nicht leiden;
das sei kein angemessnes Haus.
Die Krähe sprach, ein wenig eigen,
es weise sich, was besser sei.
Der Glitzertand da in den Zweigen,
der locke Neider nur herbei.
Wer zu viel Aufsehen erwecke,
dem bleibe bald nicht mehr die Ruh,
die Brut vor Feinden zu verstecken,
verliere seinen Schutz im Nu.
Die Elster unbelehrbar schien,
ging arrogant und flog nach Haus.
Doch als sie ankam, wollt’ sie fliehen
und rief entsetzt: “Oh, was ein Graus!“
Nichts war mehr so, wie sie ’s verlassen,
zerstört ihr schöner Traumpalast.
Man hatte ihr nichts mehr gelassen
als einen kahlen, grauen Ast.
Nun starrt die Elster in die Leere
die Zähren rollen, nicht zu knapp,
bedenkt der Krähe kluge Lehre
und schminkt sich ihren Hochmut ab.
Ingrid Herta Drewing
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