Leben

Es liegt im Wachsen etwas Wunderbares,
wie sich ein Keimling in das Werden fügt,
sich einreiht jede Zelle, etwas Klares,
das auch dem großen Ganzen dann genügt.

Als habe es geheimen Ruf vernommen,
so folgt das Leben leise, drängt zum Licht,
und plötzlich ist es da, wirkt so vollkommen,
zeigt hier im Dasein schön sein Angesicht.

Zwar wissen wir heut’ viel von der Natur,
verfolgen analytisch ihre Spur,
um möglichst auch Erkenntnis zu erlangen.

Jedoch sind wir ein Teil des Lebens nur
und zogen sie nicht auf, die große Uhr.
Wir dürfen es nur demütig empfangen.

Ingid Herta Drewing

Wolkengleich

So flüchtig wie die Wolke ist das Leben.
Noch eben schwebend hoch in Himmels Blau,
türmt sie sich auf, Gewitter wird es geben,
was vordem weiß, verschwindet ganz im Grau.

Sich dann im Hagel, Regen zu verschwenden,
bis wieder Sonne hell am Himmel bleckt,
und in den Wassern sich zur Erde wendend,
vielleicht im Regenbogen noch entdeckt.

So wandelt alles sich in stetem Werden
und Enden, hier im Kreislauf der Natur.
Auch wir sind doch nur Gäste hier auf Erden
und hinterlassen unsre kleine Spur.

Ingrid Herta Drewing

Gedanken beim Einkauf

In diesem Kühlfach liegt eine Makrele,
starrt mich aus ihren toten Augen an
so vorwurfsvoll, als raubt’ ich ihr die Seele.
Ich weiß, dass ich den Fisch nicht essen kann.

Ach würden doch Gefahren hier auf Erden
begegnen warnend uns mit solchem Blick;
ganz sicher würde uns dann nicht gefährden
so vieles, was uns wird zum Missgeschick.

Jedoch erscheint so manches Böse gut,
wirkt harmlos, die Gefahr wird leicht verkannt.
So Kernkraft, unbezähmbar, nicht geruht
ein braver Flaschengeist zu sein, der stets gebannt.

Der Mensch verdrängt sehr gern auch die Gefahr.
Erst wenn der Tod ihm droht, sieht er es klar.

Ingrid Herta Drewing

Hoffnung

Wer kann, der mag dies’ Lied wohl singen,
auch wenn der Morgen stumm die Saiten rührt,
und bleiern mit gelähmten Schwingen
der Phönix sich kann kaum verdingen,
da er sich zögerlich im Grau gebiert.

Solange noch ein Mensch auf Erden
die Stimme hebt und hoffend nicht verzagt,
gesellen sich zu ihm Gefährten
und wagen sich in neues Werden,
erreichen mutig wieder Klang und Tag.

Ingrid Herta Drewing

Wahn

Noch immer dieser Wahn
von Sicherheit und Macht;
wo wir doch deutlich sah’n,
wie klein das ist bedacht.

Der Mensch darf nicht verspielen
im Hochmut dieses Leben,
auf Kernkraft kühl zu zielen,
leichtfertig im Bestreben.

Die Kräfte, die er rief,
die kann er nicht bezwingen,
ein Gau zu lang verseucht,
was ihm kann Leben bringen.

Im Einklang mit Natur,
hier Energie gewinnen,
alternative Spur
verfolgen,klares Sinnen

Damit die schöne Erde,
auch wenn wir nicht mehr sind,
noch immer Heimat werde
für jedes Menschenkind.

Ingrid Herta Drewing

Machtlos

Verletzlich und zart ist des Menschen Leben,
und dennoch täuscht er sich in seiner Kraft.
Er glaubt, ihm sei hier alle Macht gegeben,
weil er sich groß seine Reiche erschafft.

Gewiss erweist sich recht kühn sein Verstand,
denn vieles, was nützlich, hat er erfunden.
Jedoch zeigt Natur ihm, es ist alles Tand,
wenn sie,wild entfesselt, reißt tiefe Wunden.

Der Erde Beben, der Fluten Gewalt
und des Feuers vernichtende Flammen.
Vulkane berstend, in Aschegestalt
stürzen Häuser und Städte zusammen.

Betroffen erlebend das Leid und den Tod,
erkennt der Mensch, doch recht machtlos, die Not.

Ingrid Herta Drewing

Zu Sisleys Gemälde „Schnee in Louveciennes“

In einer Gartenmauerflucht,
fast unwirklich, so Schnee verhangen,
mein Auge sich zu ankern sucht.
In der Bildmitte, schwarz betucht,
nimmt es im Fluchtpunkt die Gestalt gefangen.

Sie ist es, die der weißen, sanften Stille
den Hauch von Leben gibt in diesem Bild,
dass man erschaue, wie des Malers Wille,
einsam inmitten dieser Winterfülle,
des Menschen Sehnsucht nach dem Menschen stillt

Ingrid Herta Drewing