Wunschtraum

Ach könnte ich auf Kranichs sanften Schwingen
dort in den hohen Lüften fliegen, gleiten,
und unberührt von Sorgen, Alltagsdingen
die Blicke offen in die Weite leiten!

Nicht Zäune, Mauern, noch ein Hag von Dornen
mich könnten hindern frei im Licht zu sein.
Ich zöge freudig fort, das Garn der Nornen,
es würde mich nicht weben irdisch ein.

Jedoch mein Wünschen bleibt nur bloßes Sehnen.
Der Boden hält mich, hier verwurzelt, fest
ich gleiche wohl dem Baum, an dem ich lehne,
wenn Winde streifen Wipfel und Geäst.

Doch in Gedanken reis‘ ich in die Ferne,
und meine Phantasie erreicht die Sterne.

© Ingrid Herta Drewing, 2016

Jahreswechsel

Nun legt ermüdet dieses Jahr, das alte,
zufrieden seine Tage in den Schoß.
Das neue naht.Ob es sich reich entfalte?
Die menschlichen Erwartungen sind groß.

Da sind die Wünsche, das naive Hoffen,
es bringe Gutes nur, was man begehrt,
dass sich Probleme lösen, die hier offen,
und Fragen, schlimme Plagen dann geklärt.

Da wirkt die Ratio plötzlich klitzeklein,
Vernunft beseelt, und doch an Schicksal glauben
wir zur Sylvesternacht, als wollt‘ das Sein
von guten Wünschen sich die Zukunft klauben.

Auf Gottes Hilfe lasst uns besser bauen,
das neue Jahr gestalten,ihm vertrauen!

© Ingrid Herta Drewing,2013

Geometrischer Dialog

In einem Malbuch sich befanden
vier Flächen, die sich nahe standen,
ein Dreieck, Rechteck, auch ein Kreis
und ein Quadrat, die Flächen weiß.
Sie warteten dort sehr gespannt,
wer sich zuerst bemalt wohl fand.

Das Rechteck sprach zum Dreieck dreist:
„Ich sag’ es dir, damit du ’s weißt.
Du armer Wicht hast nur drei Ecken
und solltest dich vor Scham verstecken.
Es fehlt ein Eck dir, drum sei leise,
entferne dich aus unsren Kreisen.
Denn wir vom Viereck, ganz apart,
sind sehr erlesen so als Art.
Kein Quader möchte uns vermissen.
Beim Hausbau sucht man, sehr beflissen,
nur uns in rechten Formen aus.
Pakete, Kisten, Schränke, Truhen,
ja selbst in Betten gäb ’s kein Ruhen,
wär’n wir als Rechteck nicht im Haus.
Gewiss malt man zuerst mich aus!“

Das Dreieck fühlt die Ehr’ verletzt
und antwortet nun sehr vergrätzt:
„Was soll hier dies’ Diskriminieren,
voll Hochmut mich zu schikanieren?
Frag’ das Quadrat, es sagt es dir,
trägt gerne uns als Form; gleich vier
von uns birgt es in sich,
diagonal braucht ’s nur zwei Strich.
Und weil du mit den Bauten prahlst,
mir deine große Welt ausmalst,
so lass mich damit nun zufrieden;
denk’ an die Form der Pyramiden!
Hier strahlt jahrtausend alter Glanz,
im Dreieck sind die Seiten ganz.
Selbst Hüte trug man mit drei Ecken!
Ich muss mich wirklich nicht verstecken;
Und hab’ ich auch nur Ecken drei,
bin ich gewiss zuerst dabei!“

Verwundert hörten ’s Kreis, Quadrat,
wie sie in nicht sehr feiner Art
noch lange miteinander stritten.
Da plötzlich kam ein Stift geglitten,
der strich die Mecker-Ecken aus.
Als Smiley hob den Kreis er raus,
zum Würfel malt er das Quadrat,
mit schönen Punkten, rund und zart.

Oft greift das Schicksal so ins Leben
und macht, was hoch will, schlicht und eben.

© Ingrid Herta Drewing

Das Missgeschick

Nun endlich, sich nach langen Jahren
des Sparens diesen Urlaub gönnen,
auf einem Traumschiff in den klaren
Mittelmeerwogen kreuzen können!

Das Reisefieber sie erfasst’;
auf der Costa Concordia
sind sie willkommen bald als Gast.
Sie sich schon froh auf Deck dort sah’n.

Und ausgerechnet da geschah es,
dass ihn sein Blinddarm plötzlich plagt‘.
Statt Urlaubstagen dort an Bord
ist die OP nun angesagt.

So fährt das Schiff jetzt ohne sie.
Sie stellen ’s mit Bedauern fest.
Vorbei die Ferieneuphorie,
nun sitzen sie zu Haus’ im Nest.

Ob nächstes Jahr sie fänden Zeit,
vielleicht die Reise nachzuholen?
Sie hadern, ’s Schicksal sei bereit,
sie wieder einmal zu verkohlen.

Da schwirrt die Meldung durch den Äther
von ihres Traumschiffs Havarie;
Verletzte, Tote! Übeltäter
der Kapitän, so hören sie.

Entsetzt – erleichtert sie erkennen,
dass, was zunächst ihr Missgeschick,
sie wohl nun Rettung dürfen nennen:
Sein kranker Blinddarm war ihr Glück.

© Ingrid Herta Drewing

Der Rosenbusch

Es gab da einen Rosenbusch im Garten,
der leuchtete im Sommer goldenrot;
und Blüte reihte sich an Blüte,
als könnte er ’s vor Freude kaum erwarten,
bis ihn ihr zartes Feuer hell umloht.

Und Blüte reihte sich an Blüte,
getragen sanft von dunkelgrünen Blättern.
Die Zweige wiegten sich im leichten Wind.
Er strahlte glänzend noch im Herbst in Güte
bei Sonnenschein und Regenwetter.

Die Zweige wiegten sich im leichten Wind,
nur selten zeigten sie die spitzen Dornen.
und ich erfreute mich am Blütenflor,
geborgen in des Sommers Glück, ein Kind,
nichts ahnend von der dunklen Macht der Nornen.

Ingrid Herta Drewing